Hilfe! Meine Kollegen hängen an der Nadel!

Es ist leider wirklich so. Ich muss mir jetzt mal in Selbsthilfe Manier meine Sorgen von der Seele schreiben! Und ich mache mir Sorgen. Furchtbare sogar. Viele meiner geschätzten Kollegen hängen an der Nadel und gefährden so sich und natürlich auch andere. Es ist nicht einmal ein besonders gut gehütetes Geheimnis, dass Ärzte dazu tendieren. Sie wollen aber auch einfach nicht hören. Zumindest die jüngeren Kollegen haben es geschafft entweder von dieser furchtbaren Angewohnheit loszukommen oder aber nie damit anzufangen. Zum Glück ist die jüngere Generation oft deutlich verantwortungsbewusster.
Jetzt kann man den älteren Ärzten auch nicht wirklich einen Vorwurf machen. Sie wurden ja nur von ihren Lehrern in den Sumpf gezogen und können jetzt einfach nicht mehr anders. Trotzdem - sollte es denn nicht auch möglich sein das eigene Handeln kritisch zu überdenken?

Die kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat nämlich schon 2017 eine Stellungnahme zu derartigen Praktiken abgegeben. Darin lehnt sie die Technik vollumfänglich ab. Dass einige immer noch spritzen, als wäre es eine Sucht, liegt an der ärztlichen Therapiefreiheit. Jeder Arzt darf nämlich machen was er grundsätzlich für richtig hält. Leitlinien und Empfehlungen von Fachgesellschaften sind leider nur genau das - Empfehlungen und damit nicht verbindlich. Nur so erklären sich einige vollständig obskure Praktiken, die den armen, kranken Patienten in Deutschland angetan werden dürfen (Bsp. Homöopathie).
Möglicherweise ist dem aufmerksamen Leser bereits aufgefallen, dass ich mich nicht wirklich über Drogen- und Suchtmittelabhängigkeit beschwere, sondern über die, immer noch so häufig aus dem Kittel gezogene Schmerzspritze. Üblicherweise gefüllt mit Dexamethason und Diclofenac kann schon diese Mischung als ärztlicher Kunstfehler durchgehen, denn zwei Medikamente zu Mischen führt formal zur Produktion eines gänzlich neuen und damit nicht zugelassenen Medikaments.

Aber fangen wir mal ganz von vorne an: Früher war die klassische Schmerzspritze tatsächlich Mittel der Wahl bei akuten Schmerzzuständen, hauptsächlich bei Rückenproblemen. Mit Einzug der evidenzbasierten Medizin in den frühen 90igern stellte man aber glücklicherweise alle Therapieformen grundsätzlich in Frage und versuchte nur das übrig zu lassen, hinter dem eine Rationale stand. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile einer bestimmten Technik kam es dann zu einer Empfehlung oder eben auch nicht - wie bei der Schmerzspritze. Dass diese Praktik der Vergangenheit angehören sollte basiert auf mehreren Tatsachen:
1. Die Wirkung der Medikamente wird durch eine pseudolokale Applikation nicht verstärkt. Heisst konkret: Wenn ich das Mittel in die Nähe des Schmerzpunktes spritze, also in den Po bei Rückenbeschwerden, verstärkt das dessen Wirkung nicht. Man fragt sich wer auf so eine Idee kommt, da die Wirkung ja auf der Manipulation von Schmerzrezeptoren beruht und die wiederum im zentralen Nervensystem zu finden sind. Eine Tablette wirkt also genauso gut oder schlecht wie eine Spritze.
2. Mit dem Gebrauch einer Spritze kommt es kurzzeitig zu einer Minderung der Beschwerden. Was jemand mit Rückenschmerzen aber braucht ist einen kontinuierlichen Medikamentenspiegel im Blut um den Muskeln (die nämlich den Schmerz verursachen) die Möglichkeit zu geben zu regenerieren.
3. Die Spritze ist mit unverhältnismäßig vielen und gefährlichen Nebenwirkungen vergesellschaftet. Abszesse mit Komplikationen bis hin zum Tode wurden beschrieben.

In diesem Zusammenhang gab es immer wieder Gerichtsprozesse gegen Ärzte, die von Patienten verklagt wurden - kein einziger wurde von einem Arzt gewonnen. Selbst wenn der Patient vorher in die Behandlung eingewilligt hat, ja selbst wenn der Arzt dokumentiert hat, dass es sich bei der Spritze nicht um eine probate Therapieoption handelt, der Patient aber darauf bestanden hat wurde das Gerichtsverfahren im Nachhinein (der Betroffene konnte sich natürlich an nichts erinnern) verloren.

Es gibt also, abgesehen vom Patientenwunsch (der hier nicht zählt) und der Sturheit der Ärzteschaft überhaupt. keinen Grund irgendwem einen nicht zugelassenen Schmerzcocktail in den Hintern zu rammen. Was für ein Unsinn. Und trotzdem - wahrscheinlich wird diese Technik erst zusammen mit den Anwendern aussterben. Aber sie wird aussterben. Davon bin ich überzeugt.

Bis dahin werden die Kollegen wohl weiter an der Nadel hänge.

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Isch hab Volksleiden!